Einleitung
 

Ikonophobie

Die Unterbudgetierung mag allerdings nicht nur Ursache von Theoriehemmnissen sein, sondern manchmal auch Wirkung eines bestimmten Normenverständnisses von Wissenschaftlichkeit und Intellektualität. Der Verzicht auf Mittel zur Bebilderung läßt sich nämlich auch als Ausdruck einer Ikonophobie deuten, die in verschiedenen Wissenschaftsfeldern lange Tradition hat und die, obgleich längst ihrerseits wissenschaftlich reflektiert, de facto nicht als überwunden gelten kann. Diese akademisch-literarische Bilderfurcht missversteht Bebilderung als tendenziell analphabetisch oder irrational und lässt sie bestenfalls als marginale Begleitung und „Aufbereitung“ gelten, nicht als Teil theoretischer Substanz.

Nimmt man beide Aspekte zusammen – den materiellen (Budgetknappheit) und den ideellen (Ikonophobie) – könnte als Schlüsselursache der unterbebilderten Fachliteratur vielleicht auch ein gewisses Defizit der Lehre in Frage kommen, welche traditionell zu einseitig aufs Beschreiben und zu wenig aufs Bebildern ausgerichtet ist. Soweit ich weiß, werden in den Disziplinen zur Erforschung visueller Künste und Kultur sowie in den entsprechenden Zweigen der Philosophie, Erkenntnistheorie, Soziologie – Kompetenzen der Produktion von Stand- und Bewegtbildern kaum abgefragt oder gelehrt. In der Musikwissenschaft hingegen werden Fertigkeiten der Schallgestaltung (Tonaufnahmen, Musizieren) häufig geschult, und in der Sprachwissenschaft Fähigkeiten des reflexiven Schreibens selbstverständlich vorausgesetzt.

Beim Verfassen meines Textes habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass der scheinbar bequemere, abbildungenverknappende Weg, Ungenauigkeiten und Widersprüche begünstigt, die im Vorangehen einer systematischen Darstellung natürlich nicht verblassen, sondern, im Gegenteil, zunehmend gravierende Folgeprobleme ergeben.

Das systematisierte Auffächern des Sichtbaren braucht viele Abbildungen. Nicht nur, um das Themenfeld im Sinne leichter Verständlichkeit übersichtlich zu gestalten. Sondern auch und vor allem, um Bilder und Begriffe aufeinander abzustimmen und die Textseite der Theorie dazu zu bewegen, möglichst viele ihrer Aussagen und Verallgemeinerungen visuell überprüfbar zu machen.

Merkmale des Sichtbaren möglichst systematisch zu variieren,
ist die Hauptaufgabe visueller Theorie

Auf den ersten Blick also mag man die Bilderarmut bildwissenschaftlicher Publikationen für nebensächlich halten. Nach meinem Verständnis gehört sie in die Aufzählung der Hemmnisse systematischer Theorie. Denn wenn Anblicke thematisch im Mittelpunkt stehen, aber auf Worte reduziert werden, ist auch Bilderlosigkeit eine Bedingung reduktionistischer Theorie.

Soviel zur Reduktion des Sehens in den verschiedenen Methoden seiner Beschreibung.